Und dann stand ich mit meinem Kanu am Ufer des Svartälven und staunte. Nachdem mich ein freundlicher Mitarbeiter von Outdoor Schweden mit Sack und Pack nach einer Fahrt auf einsamen Landstraßen durch endlose Wälder mitten im Nirgendwo abgesetzt hatte und mit einem Grinsen davongefahren war, atmete ich erstmal tief durch und aß eine Zimtschnecke. Niemand war zu sehen, vor mir wand sich der sprichwörtliche Schwarze Fluss durch dunkle Wälder und grünes Gras und ich hatte nicht erwartet, wie berührt ich sein würde beim Anblick des samtenen Wassers, in dem sich die Bäume spiegelten. So als würde ich in eine ganz neue, eigene Welt eintauchen.
In der Nacht hatte eine Schlange unter meinem Zelt geschlafen, die ich entdeckte, als ich es abbauen wollte. Der Fluss vor mir schien sich wie sie sich durch die Landschaft zu schlängeln, auf der Karte als viele winzige Kurven und Mäander zu sehen. Bevor ich mit dem bepackten Kanu lospaddelte, hielt ich die Hände ins Wasser, begrüßte den Fluss, stellte mich vor und bat ihn, mich sicher zu tragen. Ich sang ein Lied für die Hüterin des Svartälven und bekam Gänsehaut.

Auch wenn ich zwei Jahre nicht in einem „richtigen“ Kanu gesessen hatte, wusste mein Körper noch genau, wie es ging. Ich stieß mich vom Ufer ab und war kurz darauf mitten auf dem dunklen Wasser. Die Strömung kaum spürbar, trug sie mich sanft und wiegend, leise tauchte ich das Paddel ein und schaute. Ich kam nicht aus dem Staunen heraus, so schön und berührend war es hier! Wie in einem Zauberwald auf einem magischen Fluss voller Geheimnisse, kleiner Inseln und versteckter Buchten.
Nach einer Weile öffnete sich der Fluss zu einem See, er wand und schlängelte sich durch den Wald und bald wusste ich nicht mehr genau, wo ich eigentlich genau war, auf der Karte waren auch nur jede Menge Schlangenlinien eingezeichnet. Für mich ungewöhnlich nicht genau zu wissen, wo ich war. Kam an ein paar Plätzen vorbei, die als Rastplatz geeignet schienen, schließlich ging ich an Land hinter Gräsern auf einer Halbinsel, wo es auch schon eine Feuerstelle gab und offensichtlich schon öfter wer übernachtet hatte. Kein Mensch weit und breit, wunderbar! Außer dem Fluss, Vögeln und Insekten war es auch angenehm still. Ich badete ein wenig, aß etwas, baute das Zelt auf und lag noch in der Hängematte. Breit grinsend vor lauter Glück und Freude über diesen herrlichen Fluss! Ich war wirklich überrascht, dachte nicht, dass es mir so gut gefallen würde, wo ich doch so gerne Seen mag.

Die Nacht war eher unruhig – die Vögel sangen bis 23 Uhr und dann ab 2Uhr wieder und ich hatte einen Alptraum, dass ein riesiges Tier über mir steht, da war an Schlaf nicht mehr zu denken. Na toll. Ließ mir also Zeit in der Früh beim Kaffee trinken, Frühstücken und packen. Und – in der Nacht war an meinem Innenzelt eine Libelle geschlüpft! Wow, erst eine Schlange, nun das, was für eine Wandelkraft mich da begleitete auf meiner Reise! Den Tag setzte ich unter das Motto „gut für mich sorgen“, in dem ich langsam machte, mir gut zusprach, im Jetzt die Schönheit um mich genoss und einfach ganz liebevoll mit mir umging, mir auch recht früh ein nettes Plätzchen suchte, wo ich wieder in der Hängematte lag und mich ausruhte, auch mal Sprachnachrichten versandte (super, jetzt wo keiner da ist, bin ich in Quassellaune, sobald ich dann unter Menschen bin, will ich meine Ruhe haben…).

Aufgewühlte Seele
am Schwarzen Fluss
wo wirst du deinen Frieden finden?
Im Schauen der Wellen am Wasser?
im Willkommen heißen der warmen Sonnenstrahlen auf deiner Haut?
Im Spiegel der Bäume und tropfenden Paddelschlag in seliger Stille?
Was lehrt mich der Fluss?
Wahrhaftes annehmen
das Wissen, das in mir ist
dem Fluss des Lebens vertrauen
in den Spiegel und in die Tiefe sehen lohnt sich
Im Portal der Wandlung
kommt alles zusammen
wird durchgewirbelt, neu gemischt
um danach wieder frei zu fließen

Es waren jedenfalls spannende Prozesse, die der Fluss mich lehrte – Vertrauen und immer wieder Vertrauen, auch wenn Angst in mir ist, auch mal die Orientierung zu verlieren, nicht zu wissen, was hinter der nächsten Kurve kommen würde, wo genau ich war oder ob und wann ich einen passenden Platz finden würde, sei es nun ein Ort zum Übernachten oder ein Ort zum Leben an sich.
Ließ mich vom Fluss meiner Intuition leiten, bei der Auswahl des Platzes, in welche Richtung es weitergehen sollte oder wo ich das Zelt aufstellen würde. Als es gewitterte, visualisierte ich einen Schutzkreis um mich, es zog von dannen und hinterließ einen wunderschönen Regenbogen. Was wäre, wenn ich dem Fluss des Lebens vertrauen würde? Dass zur richtigen Zeit das Richtige für mich kommen und ich es erkennen würde? Es spüren würde mit einem klaren Ja und wenn es nicht das richtige wäre, mit einem klaren Nein?

An einem Morgen war es grau, kühl und feucht, ich war nicht besonders motiviert zunächst, sagte mir, dass eine gute Idee für den Tag und die Motivation kommen werden, wenn sie bereit dazu sind und das klappte sogar! Der Fluss fragte mich heute ganz klar: und, vertraust du dir selbst? Paddelte in einen Seitenarm hinauf, ließ mich verzaubern von Felsen, Moos, engen Kurven und leuchtend grünem Gras unter grauem Himmel, dazu der dunkelbraune Fluss. Manchmal war es auch ganz schön kalt, sammelte also Holz und entzündete ein Feuer. Irgendwie überkam mich eine tiefe Traurigkeit, es war doch ein sehr intensives Jahr gewesen, da gab es viel zu verdauen. Ich tanzte diese Traurigkeit, brachte sie ins Fließen, wandelte sie in Kraft und innere Wärme. Stieg nackt in die dunklen Fluten des Flusses und spülte fort, was mir nicht länger dienlich war.
Machte es zu meinem Morgenritual, Hände und Gesicht im Fluss zu waschen und um eine Botschaft zu bitten. Einmal war es „sei entspannt und lass dich wie ich träge dahintreiben“. War gar nicht so leicht das umzusetzen, merkte, dass ich immer wieder nicht soo entspannt war und manchmal stellte ich es mir auch einfach vor, was wäre, wenn ich entspannt wäre. Beim Übernachtungsplatz bedankte ich mich und verabschiedete mich angemessen, schaute dass ich keine Spuren hinterließ, manchmal fand ich kleine Müllteilchen, die nahm ich natürlich mit. Beim Paddeln versuchte ich es auch entspannter angehen zu lassen, ließ mich immer wieder treiben, schaute, wo das Boot hinwollte. Träge zog der Wald vorbei, moosbewachsene Felsen, ganz selten mal ein Haus oder ein anderes Boot in der Ferne. Mal war es windstill und alles spiegelte sich, dann gab es wieder kleine windgekräuselte Wellen.

Und auf einer einsamen Insel konnte ich auch übernachten! Machte es mir dort gemütlich und zog nochmal mit dem Kanu los, erkletterte spannende Felsen und ließ mich auch mal mitten im See einfach treiben, schaute einfach aufs Wasser und entspannte. Saß später auf schönen Felsen oder lag in der Hängematte, setzte mich zu Seerosen und beobachtete eine Ringelnatter am Ufer. Im goldenen Abendlicht badete ich und fühlte mich sehr glücklich.
Ein Schwarzspecht kam ganz nah, während ich zusammenpackte und den Wolken zusah wie sie mehr und mehr einem strahlenden blau Platz machten. Die Botschaft des Flusses war „be silent and listen“, die mich sehr berührte – und ich lauschte nicht nur nach außen, sondern auch nach innen, manchmal hörte ich wie eine Melodie in mir, manchmal kamen spannende Gedanken und das Gefühl eines tiefen Friedens. Nun war die Kanutour zu Ende, ich lud alles aus dem Boot, bedankte mich beim Fluss, sang ihr ein Lied, bevor ich abgeholt und zum Camp gebracht wurde. Auch schön wieder dort zu sein, wanderte noch ein wenig auf den nächsten Berg, genoss die Aussicht und reflektierte meine Erlebnisse am schwarzen Fluss. Und Moosglöckchen und Zwergbirken sah ich am Wegesrand, worüber ich mich sehr freute. Badete neben Seerosen und döste in der Hängematte.

Und ich ging immer wieder in die Stille, wurde ganz leise in mir, meine Gedanken wurden still und ich lauschte. Im Außen hörte ich das Rauschen des Windes in hohen Kiefern, das leise Plätschern der sanften Wellen. Insekten summten und Vögel zwitscherten. Und ich lauschte in mein Inneres, hinter den Gedanken kam die eigene Stille zum Vorschein, manchmal auch ein leichtes inneres Tönen und ein Summen, ein Herzschlag, eine Empfindung, eine feine Wahrnehmung, ein Gefühl. Und je mehr ich lauschte, um so stiller wurde es in mir und gleichzeitig tiefer, reicher und erfüllter.
Das Abendlicht ist berauschend
das Wiegen im Wind lässt mich staunen
das weite Himmelsblau
lässt noch keine Sterne vermissen
sie werden wieder scheinen
alles kommt und geht
goldener Schein auf rötlichen Kiefern
friedlich schimmerndes Heidelkraut
die Beeren daran auf Reife wartend
Glitzerwellen am See
Waldesrauschen
Mittsommer in Schweden

Mein letzter Tag am Camp war eine schöne Mischung aus Nichtstun, eine kleine Wanderung in ein nahes Naturschutzgebiet mit Umrundung eines Sees und zusammenpacken, mich so langsam vom Platz verabschieden, der wirklich wunderschön ist. Den ganzen Tag war es windig gewesen und ich etwas aufgewühlt wie das Wasser, am Abend legte sich Stille über das Land und ich hatte den wunderbarsten, magischsten Abschiedsabend, den ich mir nur vorstellen konnte. Am Camp gibt es eine Sauna direkt am See, schwimmen in den Sonnenuntergang, am Feuer sein, verschwitzt ins kühle Nass tauchen.

Mich berühren und umhüllen lassen
von der Schönheit und Magie der hellen Nacht
das Feuer in unserer Mitte entzünden
zwischen Seerosen schwimmen
mich verbunden fühlen
mit offenem Herzen
dem Sonnenuntergang
entgegen schwimmen
dem Flüstern der Espenfrau lauschen
und den Botschaften des Schwarzen Flusses
Herzberührt
Sommernachtskanufahrt
magisch und voller Geheimnisse
Spiegelbotschaften der Seele
träumende Liebe
Das Paddel in die Stille des Lichts tauchen
weite Kreise ziehen auf sanftem Wasser
mich gesegnet fühlen von dieser Nacht
sie in mir klingen lassen…

In der Nacht konnte ich lange nicht einschlafen, hell war es auch jedes Mal, wenn ich aus dem Zelt sah. Der Abschied fiel schwer. Aber die heiße Dusche und die leckere Pizza in Malmö waren durchaus angenehm und noch zwei Tage am Meer, wie herrlich! In mir war so ein wohliges, aufgedrehtes, die Welt umarmen wollenden Gefühl. Konnte es auch gar nicht in Worte fassen, was diese Reise mit mir gemacht hatte… Das Verbundensein, das Feuer, das in mir ruhen, das Vertrauen, das nach innen lauschen. Fühlte mich im Fluss. Da wusste ich ja noch nicht, dass ich nur drei Wochen später wieder in Schweden sein würde – diesmal mit den Kindern, doch das ist eine andere Geschichte.
