Wie kommt die Wildfrau auf die schwedische Insel – der STURM

Viele von euch wollen sicher schon lange wissen, wie es denn nun auf der einsamen Insel in Schweden war (ich hatte derweil ja nur von der Rückreise berichtet). In Zeiten wie diesen ist zwar Reisen derzeit nicht möglich, aber schwelgen in Erinnerungen und träumen vom nächsten Urlaub sind ja erlaubt. Es war definitiv spannend… am abenteuerlichsten war sicherlich die Hinreise – bis ich endlich mal dort war! Da habe ich mich unterwegs mehrmals gefragt, warum ich mir das antue, aber es hat sich letztendlich wie immer gelohnt…DSC07833

Eines schönen Freitagmorgens im August packte ich also meine Rucksäcke fertig (ein kleiner und ein großer), schwang mich aufs Fahrrad, radelte zum Bahnhof, ließ es dort stehen (mein Mann würde es ein paar Tage später abholen) und fuhr mit dem Zug 12 Stunden nach Hamburg über München und Berlin. Das war ja recht gemütlich. Vertrat mir in Hamburg noch die Beine an der Binnenalster, bevor ich mich in den vollbesetzten Reisebus quetschte.

Bald fuhren wir noch mit der Fähre über die Ostsee, wo ich im Dunkeln über das rauschende Meer fuhr. Nachdem ich es ja mittlerweile gewohnt war, dass es eben anscheinend nur unbequem nach Schweden geht (Übernachten auf einer Bank am Kopenhagener Flughafen oder unbequemer Zug ohne Schlafwagen oder eben Quetschbus, du hast die Wahl…), schlief ich unruhig, aber immerhin etwas. Schweden zeigte sich grau und grau und im Regen, nachdem wir 10 Stunden unterwegs gewesen waren und ich mich verschlafen aus meinem Sitz-Schlafsack erhob. Der Wetterbericht verhieß jedenfalls nichts Gutes…

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Irgendwie war mir übel von all der Aufregung und den Kurven der letzten Kilometer durchs Hinterland irgendwo nordöstlich von Göteborg. Es war bereits 10Uhr und ich hatte erst eine halbe Reiswaffel hinunterbekommen… Wir wurden noch aufgeteilt und es gab immerhin Kaffee und fragwürdige Veggie-Hotdogs im Camp (eigentlich müsste es doch einen Aufpreis nicht für das vegetarische Proviantpaket geben, sondern für das mit Fleisch oder nicht?). Die meisten Mitreisenden waren mindestens zu zweit unterwegs, nur ein paar unerschrockene AlleinReisende brachen mit mir im Minibus auf zum 45min entfernten See, in dem verstreut unsere Inseln lagen, die wir für eine Woche beziehen würden.

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Mittlerweile regnete es in Strömen – välkommen till Sverige! An dem See bekamen wir unsere Ausrüstung, ein Kanu, Paddel, Schwimmweste, eine Essenstonne, Zelt und Zeugs. Meine Sachen packte ich in wasserdichte Taschen um und das Boot war voll! Jeder von uns brach nun zu „seiner“ Insel auf, meine war die ganz hinten… hatte mir ja eine besonders ruhige gewünscht… das hatte ich nun davon… In der Bucht war es ja ruhig, aber sobald ich sie verließ, war es nur noch DER STURM, wie es dann später auch in den Erzählungen der anderen hieß…

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Es gab nur noch Wellen, Wasser, Regen, Wind und mich… Hielt mich eher am linken Ufer, aus Angst zu weit auf den See hinausgetrieben zu werden. Nur geriet ich dabei so nah ans Ufer, die Wellen und der Wind trieben mich immer weiter ran und letztlich strandete ich auf einem der flachen Felsen. Versuchte mich wieder abzustoßen, aber vergebens… Das Boot wackelte bedrohlich… der Regen peitschte mir ins Gesicht. Stieg also aus und schob das Kanu wieder an, sprang wieder hinein und versuchte es wieder. Das klappte so ungefähr 10 Sekunden, ehe die nächsten Wellen mich wieder an die Felsen trugen und das Alu unschöne Geräusche auf dem Stein verursachten. Nach dem dritten Aussteigen war ich der Verzweiflung nahe… nun gut, nicht nur nahe… mittlerweile war ich hüftabwärts klatschnass und wärmer wurde es nicht, je länger ich im Wasser stand und das schwankende Boot festhielt, das jeden Moment von den Wellen überflutet zu werden drohte. Was in aller Welt sollte ich jetzt tun??

Ich sah mich um nach einem Anlegeplatz, wo ich halt irgendwo im nirgendwo mein Zelt aufbauen würde. Aber außer Felsen waren da nur Felsen, keine einzige Fläche groß genug für einen Lagerplatz. Zurück? Hm. Gegen den Wind? Weiter? Ich hatte trotz konsultieren der mittlerweile nassen Karte keine Ahnung wie weit es wirklich noch war… die kleine Insel irgendwo am Rand des hinteren Drittels des doch sehr großen Sees noch lange nicht in Sicht. Meine Hände zitterten schon, also entweder bewegen oder trockenlegen, was anderes kam nicht in Frage. Versuchte noch einen Apfel zu essen, während ich versuchte, nicht in Panik zu verfallen. Nicht einfach.

Da saß ich weiter draußen zwei Kanus. Das musste die Frau mit den beiden Teenagern sein, die zur Insel in der Mitte des Sees wollte. Die hielten sich über Wasser. Also würde ich das ja wohl auch schaffen. So, komm, Elaria, rein ins schon halb vollgelaufene Boot, kräftig abstoßen, kräftig paddeln. Mit ganzem Körpereinsatz. Du schaffst das! Weg von den Felsen! Weiter, noch ein Paddelschlag. Nicht vom Wind ablenken lassen, der das Boot in die andere Richtung drehen will mit aller Kraft. Weiter, atmen, weiter, paddeln. Ja, so. Immer ein Schlag nach dem anderen.

Mit beiden Knien stemmte ich mich ins Boot, über meine Füße schwappte das Wasser. Mal lag das Boot genau im Wellental und drohte zu kentern oder vollzulaufen (gefühlt beides), mal war es genau in Richtung der Wellen und es platschte nur so, der Bug hob sich, der Regen verzerrte mir die Sicht. Versuchte die Wellen schräg zu nehmen, kräftige, weit ausholende Schläge mit vollem Körpereinsatz zu machen, tief und gleichmäßig zu atmen. Mit kam der Gedanke, mit dem Wasser und den Wellen zu arbeiten, statt gegen sie. Mich mit ihnen zu verbinden, Teil von ihnen zu werden. Das ging auf jeden Fall besser, aber eine Pause war nicht möglich, ein Nachlassen drehte das Boot sofort ins Wellental. Ich schaffte es um eine Felsennase herum, voraus waren wieder flache Felsen im Wasser, dicht unter der Oberfläche, ein Aufsitzen sehr wahrscheinlich. Wieder weiter weg vom Ufer.

Als ich zwischen eine größere Insel (immer noch nicht meine) kam und in eine etwas ruhigere Bucht, konnte ich ein wenig aufatmen, sang lauthals Lieder, die mir gut taten und zu denen ich gut paddeln konnte: „Hej du, vertraue deiner Kraft, denn mit ihr hast du schon viel geschafft, Liebe Lust und Leben, Liebe Lust und Leben…“ oder „I am a woman, the power is mine, I am a woman, with magic divine.“ Nach der Insel wurde das Wasser wieder unruhiger, ich versuchte etwas voraus zu erkennen, was in dem Regen und Wind nicht leicht war. Links von mir kamen mehrere Buchten und ich wartete darauf, dass endlich ein Fluss in den See floss, denn kurz danach hätte ich meine Insel erreicht. Mittlerweile tat mir alles weh, aber immerhin war mir obenherum warm. Die Jacke schien dichtzuhalten.

Endlich, endlich konnte ich den Zulauf ausmachen und endlich zeichnete sich die kleine Insel ab. Die letzten Meter schienen eine Ewigkeit zu dauern, der Wind und die Wellen waren wieder besonders hoch und ich musste noch einmal alle Kraft aufwenden, die ich noch hatte. Ich paddelte und paddelte und die kam einfach nicht näher! Wieder Wellentäler, wieder starke Windböen, die das Boot unerbittlich erfassten. Aber irgendwann war ich tatsächlich da – unglaublich! Ich hatte es geschafft!!! Nie war ich jemals so froh gewesen, festen Boden unter den Füßen zu haben wie jetzt!

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In mir zitterte alles, aber ich musste noch alles an Land schleppen, das Boot sichern (stellt euch vor, das wäre weg und ich sitz auf der Insel fest…nun gut, zum Glück wäre schwimmen zum Ufer machbar), das Zelt aufbauen (ein mir unbekanntes, meines kann ich im Dunkeln aufbauen), es stürmte noch, aber der Regen hatte nachgelassen und mich vor allem in trockene Kleidung werfen. So, eins nach dem anderen. Mann, war das Zeug schwer! Meine Beine fühlten sich wie weichgekochte Spaghetti an, das machte die Sache nicht leichter, und meine Arme erst!

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Aber ich war auf „meiner“ Insel, Wahnsinn! Deckte meine Sachen erstmal notdürftig mit der Plane zu, um sie zu erkunden nach Zeltplatz und Klohäuschen. So viele Möglichkeiten gab es nicht und da alles einfach nur nass und windig und rutschig war, nahm ich den erstbesten, wo ich am wenigsten weit schleppen musste. Erstmal das Zelt. Hm, lustig, nach mehreren Versuchen mit den widerspenstigen Stangen und nicht-wissen-wie-rum-jetzt stand das mal. Meine Sachen reinschleppen, die ja zum Glück wasserfest verpackt waren. Wie fein ist eine große Apside, in der man viel verstauen kann! Der Rest wartete noch unter dem umgedrehten Boot, das ich weit aufs Ufer gezogen hatte.

Ah, und endlich trockene Kleidung, wie herrlich war das denn!!! Und letztendlich hatte ich nur 2 Stunden her gebraucht, aber es kam mir viel länger vor, so fertig wie ich war…. War ich froh, dass ich zwei Regenhosen mithatte… Trocken ging es mir gleich viel besser und ich konnte in Ruhe den Rest holen. Aus der Plane baute ich mir nach mehreren sehr lustigen Versuchen um einen Baum in Zeltnähe eine Art Tipi, das ich mit Schnüren und Heringen am Boden festmachte, in denen ich die Essenstonne, den Eimer (der war leider bei der Überfahrt zerbrochen) und den Kocher unterbrachte. Schaute auch erstmal rein, was es denn so alles zum Essen gab. War ja an sich etwas Neues für mich, die Ausrüstung und alles gestellt zu bekommen, normalerweise kaufte ich das ja immer vor Ort selber ein. Jedenfalls war das Essen für zwei Personen, von dem her sollte ich nicht am Hungertuch nagen, würde ich sagen…

Gesättigt wollte ich nur eins: schlafen. Nachdem ich noch schnell allen geschrieben hatte (allzu viel Empfang war nicht, aber es reichte), dass ich heil auf der Insel sei, kroch ich in den flauschigen Schlafsack und machte die Augen zu (da war es erst so 7 oder so, aber nach der Nacht und dem Tag…). In der Nacht stürmte und regnete es, was das Zelt äh Zeug hielt. Unglaublich. Ein paar Mal dachte ich, ich lieg unter einem Wasserfall! Alle paar Stunden leuchtete ich alles mit der Taschenlampe ab, denn es klang echt, als würde ich mittlerweile mitten am See treiben, so rauschte es! Aber das Zelt hielt trocken, puh, mein Tipi auch. Es war auch noch kein Tümpel unterm Zelt, der Boden nahm das Wasser gut auf. Das nächtliche Highlight war, als ich das Vorzelt aufzippte und mich ein Frosch anquakte, der es sich auf meiner Schwimmweste gemütlich gemacht hatte. Also wenn es mal den Fröschen zu nass da draußen ist…

An sich fühlte ich mich einigermaßen ausgeschlafen, so irgendwann, keine Ahnung, wann. Es war schon lange hell. Rechnete mit dicken Nebelschwaden und richtig ungemütlichem Wetter. Als ich das Zelt aufmachte und herauskroch, war blauer Himmel und die Sonne schien über einem weitaus ruhigeren See und ich sah erstmal so richtig, wo ich hier überhaupt gelandet war… Ich sag nur eines: Atemberaubend… Und hier würde ich nun noch 6 Nächte bleiben dürfen, ganz alleine… ein Traum… (ehrlich? wenn ich könnte, würde ich noch jetzt, in dieser Sekunde losziehen auf diese Insel, trotz möglicher Stürme… seufz… Fernweh, Sehnsucht nach Stille, aber auch Abenteuerlust und vor allem All-Ein-Sein…)

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3 Kommentare zu „Wie kommt die Wildfrau auf die schwedische Insel – der STURM

  1. In Zeiten wie diesen ist zwar Reisen derzeit nicht möglich, aber …

    Von 193 Staaten der UNO haben 190 ein Einreiseverbot für Deutsche verhängt. Schweden und Großbritannien nicht, also kann man sehr wohl nach Schweden reisen. Vielleicht nicht gerade über Dänemark, aber es gibt Direktverbindungen.

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    1. gut zu wissen, aber ich müsste mit dem Zug 3 Grenzen queren aus Österreich – Deutschland, Dänemark und Schweden, abgesehen davon dass es keine internationale Zugverbindungen mehr nach Deutschland von hier aus gibt…

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  2. Oh was für ein atemberaubender, aber wunderschöner Bericht … du traust Dich was !!! Wirklich toll … Hut ab …. klingt echt hart, aber unbeschreiblich schön ❤

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