Der Nachtzug wiegte mich gen Norden, in einem unwirklichen Morgenlicht erwachte ich und draußen rauschten weite Wälder und riesige Seen vorbei. In einem kleinen Ort irgendwo zwischen Umeå und Luleå stieg ich aus, nachdem ich einen gemütlichen Morgenkaffee an Bord getrunken hatte.
Eine meiner Mitfahrerinnen bot mir sogar an, mich irgendwohin mitzunehmen, aber ich wurde von einem Bekannten abgeholt, bei dem ich ein paar Tage auf einer sehr abgelegenen Farm verbringen durfte. Vom Bahnhof aus fuhren wir über einsame Landstraßen, bogen auf Forststraßen und auf noch kleinere Wege ab, bis wir schließlich eines der verlassenen Dörfer mitten im Nirgendwo erreichten. Bis auf die Bahn, die von der Weite ein paar Mal am Tag zu hören war, gab es nichts als wohltuende Naturstille. Ein See, ein Fluss, Wälder, Moore. Ein Windschutz, neben dem ich mein Zelt aufstellte. Was brauchte ich mehr?

Zum Ankommen machte ich ein Schläfchen unter der Birke am See, mein Körper schaukelte immer noch leicht vom Zug. Und natürlich am See sitzen und schauen. So weit nördlich war ich noch nie gewesen, wie weiter gen Zenit hier der Polarstern stand! Die nächsten Tage waren eine Mischung aus einfach Sein am See, Feuer am Abend, dazwischen umherstreifen im Moor, im Wald, mit dem Kanu am See und Fluss paddeln, viel alleine sein und ab und an gemeinsam Urwälder erkunden und nach Rote Liste Arten suchen.

Auch im Norden weichen immer mehr Urwälder der Holzindustrie, in letzten kleinen Resten dagegen ist es reine Magie! Eintauchen in die Moore, Zwergbirken, uralte Kiefern, Heidelbeeren, Moosbeeren… Schweigend hindurchstreifend, an Bartflechten vorbei, mich hinlegen und süße Beeren naschen. Zurück finden nur dank des GPS, denn Pfade sucht man hier vergeblich. Tauchte hinein in die Essenz des Seins, am See, in der Sonne, auf Felsen sitzend, Stille und Weite tankend.

Und dann ging ein Traum von mir Erfüllung – Polarlichter!!! Wir saßen im Windschutz am Feuer und schauten immer wieder hinaus, ich bewunderte den wunderschönen Sternenhimmel und auf einmal tauchte am nördlichen Horizont ein grünes Band aus Licht auf. Schwer zu beschreiben, was ich fühlte – pures Glück, Freude, Tränen der Rührung, ein Zauber, eine knisternde Stille. Beim Schreiben bekomme ich Gänsehaut. Das Band bewegte sich ganz sanft am Himmel entlang, in Wellen strömte es über den dunklen Baumwipfeln, streichelte die Sterne, küsste mein Herz. Und irgendwann verschwand es so leise wie es gekommen war. Und ich blieb da auf der Wiese, staunend, zutiefst berührt, von der Kälte der Nacht überrascht.

War es weiter im Süden mit den beiden Schlafsäcken noch kuschelig warm gewesen, so waren es in dieser Nacht Minusgrade und ich fror einfach nur, zum Glück war die Hütte in der Nähe, so dass ich mich dort aufwärmen konnte. Die nachfolgenden Nächte konnte ich auch nur schlafen, in dem ich nun drei Unterlegsmatten, drei Schlafsäcke und eine Wärmflasche hatte, die mal die Füße, mal den Hintern oder den Rücken wärmte. Und Zähne putzen und umziehen am Feuer, damit ich dann gleich in den Schlafsack schlüpfen konnte. Es war ja schon Herbst, das Laub der Heidelbeeren tiefrot, das der Birken golden in der Sonne. Und ich hatte so ein Glück mit dem Wetter!!! Untertags war es so warm, dass ich durchaus auch nackt unterwegs sein konnte, des nachts dafür um den Gefrierpunkt. Als ich abreiste, regnete es über eine Woche durch!



Der nächste Morgen war magisch – alles von Raureif überzogen, über dem See waberte der Nebel und ich sah ihm beim Verschwinden zu, während ich im Windschutz meinen Morgenkaffee trank. Langsam erhob sich die Sonne über den Wald und tauchte alles in ein Zauberlicht. Und Singschwäne flogen vorbei, die mich sehr berührten mit ihren Rufen. Vor vielen Jahren hatte ich mal in Island welche gesehen, umso mehr freute ich mich, dass hier ganz in der Nähe mehrere lebten und mich mit ihrem Gesang erfreuten. Auf einer nachmittäglichen Kanufahrt sahen wir sie wieder, während herbstfarbenes Gras an uns vorbeizog und es schon Zeit für Handschuhe war. Die Zeit verging hier anders, fließender, ruhiger, einfach sein, eintauchen. Abends am Feuer sitzen und die Mondin anschauen, Lieder singen und es geruhsam angehen lassen.

Erlaube dir zu sein
eintauchen dürfen
ob faul, müde oder aktiv
es ist dein Urlaub!
du kannst auch einfach nur
den ganzen Tag dasitzen und gucken

Von Singschwänen begleitet erkundete ich die Umgebung, streifte am Ufer entlang, fand wunderschöne Plätze unter Birken, auf Steinen, bewunderte unbekannte Pflanzen und schaute immer wieder auf den See hinaus.

Entfalte mich in Schichten des Vertrauens am See
lasse Wellen von Wind vorbeiziehen
sie nehmen staubige Gedanken mit sich
folge der Spur der Sonne
dem Lied der Schwäne
öffne mein Herz
um mir alles zu erlauben
die zu sein die ich bin
die Fülle des Lebens zu teilen
im Moment präsent zu sein
der Essenz des Lebens
mich im Land auflösen
zeitlos
Herbstfarben
und weiße Birkenrinde
raschelnde Blätter
Stille


Wir fuhren in ein nahegelegenes Naturschutzgebiet, das wie eine Insel aus den Plantagen ragte. Eintauchen in eine völlig andere Welt, eine ursprüngliche, verzauberte, kraftvolle. Ein Urwald, so wie vor nicht allzu langer Zeit große Teile des Landes hier bedeckt waren. Bartflechten wiegten sacht im Wind, Vögel zwitscherten. Wir gingen zu einem See, der wie aus einem traumhaften Märchen wirkte, Wasserklee zierte seine Ufer, Wolken flogen am weiten Himmel. Wir naschten Heidelbeeren, setzten uns ins weiche Moos, ich nahm ganz die Magie dieses Ortes in mir auf und war einfach nur glücklich! Dieser Ort hallte noch lange in mir nach, er hatte mich sehr berührt!

Auf der Rückfahrt sahen wir in einem Ort einen Menschen auf der Straße, das kam uns schon richtig übervölkert vor in der Abgeschiedenheit der letzten Tage. Und jetzt weiß ich auch, warum ich bisher auch nach zehn Reisen nach Schweden noch keinen Elch gesehen hatte: die stehen einfach viel lieber an Straßen herum als im Wald wie es aussieht, selbst die Schweden sehen sie häufiger dort. Und nachdem ich ja meist im Zug, zu Fuß oder im Kanu unterwegs bin… jedenfalls sah ich endlich den ersten Elch meines Lebens!!! Juhu!!! Was für eine Freude – er verschwand gleich im Wald, bevor ich ein Beweisfoto machen konnte.

Morgens beobachtete ich Schmetterlinge, trank genüsslich meinen Kaffee und machte es mir gemütlich im Schlafsack, ließ mich von der Sonne wärmen, fühlte mich wohl. Streifte durchs Moor hin zu einem Birkenwäldchen. Wissend, dass niemand in der Gegend war außer mir. Es war so wunderbar warm, dass ich mich auszog und mich im Windschatten einer Kiefer ins Moos flauschte. Wanderte nackt umher, die Kleidung im Rucksack. Wie schön das war!!!! Den Wind auf der Haut zu spüren, Gräser streichelten meine Beine, Birkenblätter meine Arme. So langsam, sinnlich, bewusst. Wunderschön!

So dankbar war ich für den Platz, an dem ich alles hatte, was mein Herz begehrt. Mein Zelt, einen Windschutz mit Blick auf den See, Feuerholz, der See, Felsen, Heidelbeeren, Wälder und Moore und ein Kanu, das ich jederzeit verwenden konnte. Was für eine Freiheit! Manchmal war es mir zu windig am See, sobald er sich abends beruhigte, paddelte ich los und genoss den einsamen See, die Singschwäne um mich, ließ mich einfach nur treiben. Was für wunderschönes Abendlicht, goldene Birken, blaues Wasser, wow! Wir drehten auch gemeinsam noch eine Runde auf dem mittlerweile spiegelglatten See im traumhaften Licht. Stille, lächeln, diese schönen Farben, Biegungen, geheimnisvolle Buchten am Fluss. Von hier könnte man sogar in 3-4 Tagen ans Meer paddeln.

Seegeheimnis
Rabenrufe über dem lichten Birkenwald
Stille am See, die zum Schweigen, Staunen und Lauschen einlädt
sich treiben lassen vom sanften Wind
schauen wohin er mich leiten möchte
Herbstspiegelungen in rot und gelb und allem dazwischen
leuchtendes Gras noch sommergrün
stilles dunkles Wasser unter mir
Wolken und weites Blau über mir
sanftes Herz spüren
tastendes Öffnen und Weiten der Seele
mich zuhause fühlen
im Sein am See

Wilde weite Frau
Hexenkirchern aus dem Wald
nackte Natürlichkeit zwischen Birken und Kiefern
sich sonnend auf warmen Gras und Moos
ihren inneren Rufen folgend
nach Abenteuer, Wildheit, Lust und Verrücktheiten
Weit werden in ihr
dem Fluss des Lebens und der Möglichkeiten folgen
Ja sagen zu Sinnlichkeit, Weite, Freiheit und Schönheit
warmer Wind auf nackter Haut
schleichend durchs Moor
Gräser streichelnd, Beeren naschend

Ab und an paddelte ich auf den See hinaus und schrieb dort Gedichte, während mich das Kanu irgendwohin trieb. Oft saß ich im Windschutz im Schlafsack und schaute auf den See oder machte Yoga unter wunderschönen Birken. Abends machten wir eine gemeinsame Tour flussabwärts, landeten irgendwo an und navigierten mit dem GPS zu einem Moorsee. Es war so ein unfassbar schönes Licht, himmlisch… fliegende Wolken in der Spiegelung, magische Wälder, Moos, lustige Mooshügel, weite Moore… Beeren… rotes Laub… das Paradies! Wollgras, uralte Pilze. Wieder zum Kanu finden und zurück paddeln. Was für eine Freiheit…

Vor lauter Freude machte ich abends einen Mondinnentanz auf der Wiese neben meinem Zelt. So schöne Sterne! Und ich setzte mich einfach zum dritten Mal an diesem Tag ins Kanu und paddelte auf den See hinaus, das Wasser so ruhig, dass sich die Sterne spiegelten. Es war so unwirklich und zauberhaft! Paddelte Richtung Mondin und sang Lieder für sie und als ich mich umdrehte, waren sie wieder da – Polarlichter!! Unglaublich!!! Ich heulte vor Glück, wow! Unbeschreiblich und ein absoluter Traum von mir (steht ja schon seit Jahren auf meiner Bucket-List). Ließ mich im Kanu treiben und schaute und war einfach nur sprachlos so schön war das.

Mondlichtmagie
tanzende Lichter am Himmelszelt
begleitet vom hellen Silberschein der Mondin
ein grünes Band im Norden
wandernd, webend, fließend,
fliegend, flackernd
auftauchend, verschwindend
dunkles Wasser sternengeschmückt
zauberhafte Stille
ein Tanz in mir
der getanzt werden möchte
die Magie der Nacht
verwandelt in Bewegung
fließend dankbar würdigend
Mondlichtglitzernde Wellen

Die letzten Tage in Schweden waren nun da und ich verabschiedete mich Schritt für Schritt von diesem himmlischen Ort, besuchte noch einmal meine liebgewonnenen Plätze, telefonierte in ausgezeichneter Qualität mit meiner Familie (hier in der Provinz weit besserer Empfang als mitten in meinem Wohnort in Bayern…), fuhr Kanu, wanderte, beschäftigte mich mit dem Thema Heimat und spürte ganz viel Trauer in mir um Kärnten. Das würde immerhin das erste Mal sein, dass ich statt bis Südösterreich nur nach Bayern fahren würde – ja, es waren zwar weniger Kilometer, aber wirklich heimisch fühle ich mich da einfach noch nicht. Vom Fluss bekam ich noch eine wunderschöne Botschaft mit auf den Weg: Jeder Tag ist ein Universum an Möglichkeiten.


Der Abschied fiel mir auch leichter, weil es wie schon erwähnt, vorbei war mit dem schönen Wetter und es richtig ungemütlich wurde. Packte ganz langsam zusammen, schaute, dass das Zelt zumindest nicht mehr tropfnass war. Wusch mich mit warmen Wasser aus dem Topf. Spazierte ein letztes Mal ins Moor, in den Birkenwald, verabschiedete mich von meinen geliebten Zwergbirken, den Kiefern, den See, all den Pflanzen. Bedankte mich bei allem. Was war das für eine wunderschöne Zeit gewesen! Einerseits nicht wegwollen aus Schweden, andererseits auch das Gefühl, dass es die rechte Zeit war, zurückzukehren. Und ich spürte so viel Dankbarkeit! Vom Gefühl war ich mindestens drei Wochen unterwegs gewesen. Schrieb mir zusammen, auf was ich mich daheim freute (nach den Kindern war das gemütliche Bett recht weit oben).

Auf der Fahrt zum Bahnhof sahen wir noch drei Elche in der Abenddämmerung, hihi! Der Nachtzug kam auch pünktlich, Wagen 13 hielt genau vor mir und ich bastelte mich wieder mit fünf Schwedinnen ins Abteil. Träumte vor mich hin von Nordlichtern und Seen und weiten Mooren, ehe ich am nächsten Tag kurz vor Uppsala aufwachte und erstmal einen (sogar gratis) Kaffee trank, ehe ich in Stockholm umstieg in den Schnellzug nach Malmö. All die schönen Seen zogen an mir vorbei, ich ließ die Reise Revue passieren, im Bordbistro gönnte ich mir Kaffee mit Zimtschnecken.

In Malmö sperrte ich das Gepäck in die überteuerten Aufbewahrungsboxen (über 20€ für ein paar Stunden! aber was tut frau nicht alles, um das nicht mitschleppen zu müssen…) und spazierte zum Strand! Erstmal ankommen, den Wind in den Haaren spüren, Knäckebrot essen, den Möwen zusehen, den Wellen lauschen. Aus Schweden würde ich mitnehmen: Frieden, Stille, Ruhe, Vertrauen, meinen Impulsen zu folgend, Wildheit, einfach machen und Sinnlichkeit. Auf den Alltag mit Vollzeitarbeit, Haushalt und pendeln freute ich mich trotzdem nicht wirklich, ich gebs zu, da war Widerstand und der Wunsch, dieses schöne Freiheitsgefühl immer haben zu können.

So tief eingetaucht
in alte Wälder und urige Moore
Stille geatmet
unter Sternen getanzt
von Polarlichtern berührt
ins Land hineingeschmolzen
mich aufgelöst in Birken
und Herbstfarben
sich wiegende Gräser

Die Stadt wurde mit schnell zu viel, zu laut, zu unruhig. Nach dem Essen in einem Restaurant lief ich schnell wieder ans Meer und genoss den Sonnenuntergang, während ich mit meinen Lieben telefonierte, die meine Vorfreude auf daheim immerhin verstärken konnten. Der Nachtzug stand auch schon da, ich plauderte noch ein wenig und als wir über die Öresundbrücke fuhren heulte ich wieder, diesmal aus Abschiedsschmerz, aber ich weiß ja, dass ich wiederkomme.

Danke an alle Menschen, die diese Reise möglich gemacht haben, ihr wisst, wer ihr seid ❤