Nach der Kanutour nahm ich wieder Züge gen Norden, wo ich mich in die Einsamkeit des Drevfjällens Naturreservats begeben wollte. Vor Jahren schon war ich in der Gegend unterwegs gewesen und hatte nur die besten Erinnerungen an die Weite des Fjälls, steinige Wege und uralte Kiefern. Nun weiß ich jedenfalls, warum diese Gegend im Juni gemieden wird – schon bald schwirrten jede Menge Insekten um mich, die mich gefühlt auffressen wollten. Im Gästebuch der kleinen Hütten am Wegesrand waren für heuer erst vier Einträge. Wer also mal seine Ruhe vor Menschen haben möchte, der sei hier richtig, muss sich den Wald aber mit gefühlt Milliarden Bremsen, Kriebelmücken und Gelsen teilen.
Allerdings war das Wetter wunderschön, blauer Himmel mit Schäfchenwolken, ein kleiner Pfad führte durch duftenden Kiefernwald, ich war motiviert mich zu bewegen nach der Zugfahrt und wanderte vorbei an kleinen Seen und schönen Pflanzen. Suchte mir einen Platz in der Nähe eines Baches, um Trinkwasser zu haben und mich waschen zu können. Watete im Fluss, fühlte mich gut und kraftvoll. Flauschte mich ein wenig im Zelt ein, nachdem ich Jause gegessen hatte. Kochen ließ ich lieber sein, denn sobald ich auch nur die Hand aus dem Zelt streckte, waren da tausende Kriebelmücken. So krass hatte ich das auch noch nicht erlebt. Gut, dass ich nach meiner Insel schon tiefenentspannt war, direkt nach dem Alltag wäre ich vermutlich durchgedreht. So gehörten die halt einfach dazu und ich passte mich an, statt lange draußen zu sitzen, bewegte ich mich dann eben oder blieb mehr im Zelt und sah von dort aus hinaus in den urigen Wald.

Machte noch einen Abendspaziergang im magischen Licht. Der Wald wirkte märchenhaft mit den locker stehenden, verknorkelten Kiefern, kleinen Tümpeln, schimmerndem Wollgras und kleinen weißen Waldsternen (die heißen wirklich so, „skogsstjärna“). Dunkel wurde es nachts nicht und das unwirkliche Licht begleitete mich bis zum Morgen. Trotz all der Insekten fühlte ich eine tiefe Zugehörigkeit zu diesem Land. Schlief ziemlich lange und nachdem es geregnet hatte, waren noch mehr Knots (die winzigen, beißenden Kriebelmücken) unterwegs, so dass ich möglichst alles im Zelt packte und erst ganz am Ende herauskam, um schnell den Rest in den Rucksack zu stopfen. Sobald man sich bewegte, wurde man weniger belagert. Sobald man aber schwitzte vom Gehen, kamen die „broms“ (so beißende Dreiecksfliegenteile) und/oder „mygg“ (Gelsen, für die Deutschen: Mücken, manche Bayern sagen auch Stanzen dazu). Weiter oben im Wald wurde es besser, der Weg wurde immer schöner, wilder, uriger. Die Kiefern standen nur mehr einzeln, dazwischen diese kleinen Seen mit Wollgras. Schaffte es sogar, länger zu sitzen und zu jausnen ohne gefressen zu werden. Der Himmel öffnete sich immer mehr dem Blau und der Sonne.

Es wurde immer noch schöner. Ich war zutiefst berührt von den Kiefern, die hier bis zu 500 Jahre alt sein können. Besonders eine zog mich magisch an und als ich sie berührte, flossen die Tränen. Ich fühlte mich zu Hause. Als würde ich einfach hierhin gehören, als wäre ich schon immer hier gewesen. Angekommen. Verbunden. Im Sein.
Danach kam mir der Rucksack gleich leichter vor. Die Landschaft öffnete sich immer mehr, es wurde mooriger, wollgrasiger, dazwischen hatte man Sicht aufs Fjäll. Immer wieder blieb ich stehen, legte den Rucksack ab und bewunderte und berührte die Bäume. Abgestorbene Äste erhoben sich spiralig in den Himmel, Wolfsflechten schimmerten gelb und Wurzelstöcke hatten Gesichter. Manchmal streichelte ich das warme Holz, mal schaute ich es nur an oder machte Fotos. An einem kleinen Bach trank ich das kühle, wohlschmeckende Wasser und füllte meine Flasche auf. Immer wieder hatte ich bei den wunderschönen Bäumen meine Kraft gespürt, nun spürte ich meine Grenzen und sang bestärkende Lieder, die mich weitertrugen. Wollte bis zu einer kleinen Hütte, die man gratis nutzen kann. War sehr froh, als ich dort war. Daneben gab es einen See, in dem ich mich wusch, zum Schwimmen war er leider zu schlammig. Flauschte ein wenig im Zelt, ehe ich in der Hütte in Ruhe und insektenfrei kochen konnte, da man dort einfach die Tür zu machen konnte. Schon auch ein merkwürdiges Gefühl, so ganz alleine hier und wie gesagt, erst vier Einträge von heuer und das auch von Schneemobilen im Winter. Würde auch zwei Nächte hier bleiben, damit ich nicht alles mitschleppen muss, möchte ja noch rauf über die Baumgrenze.

Saß noch länger am Ufer, wo etwas Wind ging und weniger Insekten waren. Schöne Sonne und Wellen, vorhin hatte ich auch Prachttaucher gehört. Fühlte mich so tief verbunden. Fühlte mich so weit und abseits von allem, aus der Zeit gefallen. Irgendwie glückselig ganz weit weg unwirklich und doch so real, in der „ich bin hier daheim“ Stimmung. Deep sense of belonging. Nach Yoga vorm Zelt (nur kurz, ehe mich die Mücken fanden) und Zähneputzen kuschelte ich mich in den Schlafsack und genoss die tiefe Naturstille.
Der nächste Tag brachte wundervolles Wetter und den schönsten Wildfrauenwald, den ich mir erträumt hatte. Aber erstmal insektenfrei frühstücken in der Stuga und mit leichtem Gepäck durch den Wald hüpfen. Hatte zwar eine Papierlandkarte dabei, nahm mittlerweile aber auch die App Topo GPS zu Hilfe, nachdem ich auch mal abseits der Wege gehen und wieder zu meinem Zelt zurückfinden wollte. Wenn ich hier verloren gehe, findet mich schließlich keiner, so oft wie hier Leute vorbei kommen. Trank aus einer Torfmoosquelle, umarmte Bäume, bewunderte Blumen und Gräser, sang vor mich hin an einer Stelle, die irgendwie dicht bewachsen und etwas unheimlich war, vor allem, weil sie einen starken Tiergeruch hatte. Wollte nicht überrascht werden und mich lieber laut bemerkbar machen. Pünktlich um 12 bekam ich wie immer Hunger und verputze meine Jause unter einer wunderschönen Kiefer an einen Felsen gelehnt.
Kurz unterhalb der Baumgrenze gab es eine größere Hütte, in der ich mich ausruhte. Schon toll, diese Infrastruktur. Auf Vertrauensbasis kann man hier etwas für kochen und übernachten überweisen. Draußen das Thermometer zeigte über 25 Grad an und es war herrlich warm. Viele schöne Blumen auf der Wiese rund um die Hütte und hier waren heuer auch schon 8 Leute eingetragen. Es gab auch ein Klo mit Aussicht und frisches Wasser aus dem Bach, ehe ich mich durch wunderschönen Fjällbirkenwald an den Aufstieg machte.

Nach nur 21 Tagen hatte ich recht unerwartet schon meine Mondzeit bekommen, an sich hatte ich erst in Stockholm damit gerechnet, aber das tolle an der Perimenopause ist ja, dass unverhofft was kommen kann und frau vorbereitet ist. Und Mondzeit in diesem wunderschönen Gebiet zu haben war auch noch mal verbindender mit dem Land. Die Aussicht, als ich den Wald hinter mir gelassen hatte, war jedenfalls gigantisch. Die Weite. Meine Seele atmete auf. Zwergbirken und Sicht auf Norwegen. Sehen, wie weit weg ich von allem bin. Am liebsten hierbleiben wollen (ok, irgendwann muss mir halt wer was zu essen vorbeibringen).
Eine Weile ging ich oben im Fjäll umher, sah Blüten von Moltebeeren und hörte Rufe von unwirklich klingenden Vögeln, ehe ich mich an den Abstieg machte. Fühlte mich wie in einem Ent-Wald aus Herr der Ringe. Unbeschreiblich schöne, uralte Kiefern und Fichten in allen Formen, knorrig, berührend. Von oben hatte ich den See gesehen, an dem das Zelt stand, so winzig angesichts dieser Weite. Ich kam mir auch sehr klein vor und doch als so verbundenen Teil des Ganzen. Als ich den Weg mithilfe der App wieder gefunden hatte, ging ich einfach vor mich hin zurück. Am See erfrischte ich mich wieder und traute mich, sogar Kulning mal auszuprobieren, die Rufe, die früher von den Hirtinnen verwendet wurden, um sich kilometerweit zu verständigen und die durch Mark und Bein gehen. Mein Ruf hallte weithin und weiter hinten antworteten Prachttaucher, was mir eine Gänsehaut bescherte. Saß noch lange auf dem Felsen und sang für das Land. Später kochte ich wieder in der Hütte und machte dort auch in insektenruhe Yoga. Fühlte mich so friedlich und ruhig in mir.

Der nächste Tag brachte Regen und ich war nicht sehr motiviert, aufzustehen und alles zusammen zu packen. Erstmal in Ruhe frühstücken in der Hütte. Den schlimmsten Regen abwarten, nachdem das Zelt abgebaut war. Mir Zeit lassen und meine Mondzeit am See fühlen. Irgendwann fühlte ich mich bereit, hinaus in den Regen zu treten. Der Regenwald hatte schon auch etwas, er wirkte düsterer, erhabener, uriger. Nur meine Schuhe waren nach etlichen Mooren mit kaputten Bohlenwegen schon tropfnass und mein Rücken schmerzte vom Rucksack, auch wenn ich schon gut was gegessen und somit Gewicht reduziert hatte. Ging einfach in meinem Tempo weiter, erkannte Schönheiten wieder vom Hinweg, lauschte Vogelstimmen, ließ mich wieder von dem Uralten Baum berühren, sang für das Land.
Unterwegs gab es noch eine kleine offene Rasthütte, wo ich vorm Regen, aber nicht vor Gelsen geschützt mit etwas leckeres kochen konnte. Danach ging ich auf jeden Fall motivierter weiter, es gab tolle Wasserpflanzen an den Bächen und wenn die Seen in meinen Schuhen wieder warm waren, ging es eigentlich auch. Kam am ersten Zeltplatz wieder vorbei und an dem Fluss, verabschiedete mich dankend vom Naturreservat, das wirklich eine Perle ist. Die Bäume wurden immer jünger und ich fand einen schönen Zeltplatz. Wusch mich im Fluss und machte ein Schläfchen.
Bald kam dann auch mein Bekannter aus Nordschweden vorbei, den ich die letzten Jahre immer auf seiner Farm besucht hatte. Wir nerdeten gemeinsam Pflanzen, besuchten eine Farm hier in der Gegend an einem wunderschönen See. Das Fjäll war mittlerweile schon wieder unwirklich hier zwischen den Häusern und den wenigen Autos. Es war warm und ich genoss die Sonne. Machte Yoga am Steg. Wir spazierten noch etwas umher und aßen etwas, ehe jeder in seinem Zelt verschwand. Vor und in meinem waren gefühlt tausende Knots. Na toll. Sah mich schon komplett zerbissen von den Viechern. Das Gute allerdings ist, sobald die im Zelt sind, wollen sie raus und sind von mir abgelenkt, so dass ich in Ruhe schlafen konnte.

Morgens weckte mich die Sonne. Wind am Fluss, gemütlich frühstücken, in Ruhe zusammenpacken und alles zu seinem Auto bringen. Noch mal zum Fluss schauen. Eine SMS von der schwedischen Bahn bekommen und feststellen, dass der Zug, der mich nach Stockholm bringen sollte, einfach nicht fährt. Und jetzt??? Keine weitere Info, kein Schienenersatzverkehr, keine Alternative Verbindung. Na toll… das sind ja schon Deutsche Bahn Zustände hier! Zum Glück bot mir mein Bekannter an, dass er mich nach Falun bringen würde, wo der Zug stattdessen angeblich fahren würde. Ein ziemlicher Umweg für ihn, aber ich bezahlte das Tanken. In Falun war der Zug immerhin auch angeschrieben, aber die Leute waren echt angepisst und ich kann mittlerweile auch auf Schwedisch über die Bahn lästern. Und ich bekam eine SMS, dass es doch einen Schienenersatzverkehr gibt, nur kam die viel zu spät, als der schon längst losgefahren wäre. Nun gut. Wollte in Ruhe am Bahnhof noch aufs Klo gehen, nur um festzustellen, dass ich da nicht rein kam. Mittlerweile haben die überall nur mehr Swish, eine Bezahlapp, die nur mit schwedischem Konto funktioniert. Bei manchen WCs geht es noch über Kreditkarte, wo man dann einen Code bekommt, der die Tür öffnet, was allerdings auch nicht unbedingt klappt. Unglaublich. Schon ein Schock nach der Wildnis, wo du jederzeit hinter dem nächsten Baum verschwinden kannst. Zum Glück half mir dann ohne Schmarn ein junger Typ , indem er über Swish für mich die Tür öffnete. So weit ist das also schon gekommen!
Das trübte meine gute Stimmung allerdings nur kurz, denn nach diesem wunderschönen Fjällabenteuer fühlte ich mich einfach in meiner Kraft. Der Zug kam dann auch und ich genoss die Fahrt gen Süden. In Stockholm wanderte ich zum Roten Boot, ein Hotel auf einem alten Schiff, auf dem ich schon vor 20 Jahren übernachtet hatte. Flanierte nach der schönen warmen Dusche noch etwas durch Södermalm und genoss ein Sonnenuntergangsbier mit Sicht aufs Schiff und das Stadshuset. Was für eine schöne Reise!
Den letzten Tag in Schweden begann ich mit dem leckeren Frühstücksbuffet am Schiff, ehe ich ohne Gepäck durch Gamla Stan schlenderte, Geschenke kaufte und mich nach dem Mittagessen noch mit einer Freundin auf ein wunderschönes Gespräch in einem Café traf. Mittlerweile regnete es stark und die sagten auch schon Verspätungen der Züge voraus. Abends gab es ein lustiges Chaos im Nachtzug, da wir plötzlich zu neunt in einem Sechserabteil standen und mehrere die gleichen Plätze hatten. Wir kamen dann drauf, dass es wohl ein Update gegeben hatte und schließlich hatte auch jeder ein Bett für sich. Plauderte auf Schwedisch und Englisch mit den Leuten, schlief ziemlich gut und machte mir mein Morgenmüsli kurz vor Berlin, wo wir sogar pünktlich ankamen. Nach dem Besuch von einem lieben Bekannten fuhr ich weiter nach Bayern, wo dann erst mal wieder gar nichts ging und ich ziemlich lange in Nürnberg warten musste, ehe es nach einer gefühlten Ewigkeit weiterging. In Regensburg konnte mich zum Glück wer abholen, sonst hätte ich da noch länger warten müssen.

Alles in allem war es wieder eine wunderbare Zeit in Schweden gewesen, das ankommen zurück dauerte wieder und ich fiel wieder in den Schweden-Blues nach ein paar Tagen. Aber das geht vorbei und die nächste Reise wartet nun zum Glück schon. Schweden, ich komme bald wieder 😉